Sind private Dashcam-Aufzeichnungen und Handy-Aufnahmen im Strassenverkehr erlaubt und können solche Aufzeichnungen in einem Strafverfahren verwertet werden?
Autor: Rechtsanwalt Sebastiaan van der Werff
Videokameras für Privatfahrzeuge (Dashcams) werden immer beliebter und von Fahrzeuglenkern immer öfter eingesetzt, um bei Unfällen ein Beweismittel zur Hand zu haben oder um der Unterhaltung zu dienen. Auch private Handyaufnahmen des öffentlichen Strassenverkehrs tauchen immer häufiger auf. Sind solche Aufnahmen erlaubt? Und können solche Aufzeichnungen in einem Strafverfahren verwertet werden?
Zulässigkeit von privaten Dashcam-Aufzeichnungen und Handy-Aufnahmen im öffentlichen Strassenverkehr
Das Schweizerische Strafgesetzbuch schützt die Geheim- und Privatsphäre (vgl. Art. 179quater StGB). Was sich in der Öffentlichkeit abspielt und von jedermann wahrgenommen werden kann, fällt nicht unter die Strafnorm. Aufnahmen von Dashcams und private Handy-Videos des öffentlichen Strassenverkehrs sind strafrechtlich nicht verboten.
Aufnahmen von Daten, anhand derer Personen oder Autokennzeichen bestimmbar sind, fallen aber unter das Datenschutzgesetz (DSG). Nach dem Datenschutzgesetz müssen insbesondere die Beschaffung der Daten und der Zweck der Datenbearbeitung für die von der Aufnahme betroffenen Person ersichtlich sein (vgl. Art. 4 Abs. 4 DSG). Weil die private Datenbeschaffung durch Dashcams oder Mobiltelefone (im Unterschied zu Aufzeichnungen durch offensichtlich oder mit Hinweistafeln positionierten Kameras im öffentlichen Raum) für die anderen Verkehrsteilnehmer in aller Regel nicht erkennbar ist, muss bei privaten Videoaufnahmen im öffentlichen Strassenverkehr grundsätzlich von einer widerrechtlichen Datenbeschaffung ausgegangen werden. Die privaten Aufnahmen können zwar durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse, durch Einwilligung des Betroffenen oder durch Gesetz gerechtfertigt sein (vgl. Art. 13 Abs. 1 DSG). Aufgrund der Intransparenz der Datenaufzeichnung dürfte dies aber nur in Ausnahmefällen der Fall sein. Aus Datenschutzgründen sind private Dashcam-Aufzeichnungen und Aufnahmen des öffentlichen Strassenverkehrs durch Mobiltelefone mithin problematisch und in aller Regel als unzulässig zu erachten.
Können private Dashcam-Aufzeichnungen oder Handy-Aufnahmen im Strafverfahren verwertet werden?
Obschon Privataufnahmen des öffentlichen Strassenverkehrs im Allgemeinen eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung darstellen und damit in rechtlich unzulässiger Weise erlangt sein dürften, ist deren Verwertbarkeit im Strafverfahren nicht in jedem Fall ausgeschlossen. Die rechtswidrig erlangten Aufnahmen sind gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung aber nur dann als verwertbar zu betrachten, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für die Verwertung spricht (vgl. BGer 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E. 2.4.4).
Auch wenn im konkreten Einzelfall davon ausgegangen werden würde, dass die Polizei dieselben Aufnahmen wie die Privatperson hätte machen können und dürfen (was streitig sein kann), stellt sich die Frage, ob die Güterabwägung zugunsten der Strafverfolgung ausfällt. Denn nur wenn zusätzlich das Interesse an der Strafverfolgung die privaten und öffentlichen Interessen überwiegt, ist die private Aufnahme im Strafverfahren verwertbar. Die Interessenabwägung ist von Fall zu Fall vorzunehmen und kann unterschiedlich ausfallen. In einem aktuellen Fall, bei dem es um eine private Dashcam-Aufnahme eines unerlaubten Rechtsüberholmanövers eines anderen Fahrers ging, hat das Kantonsgericht Schwyz die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine justizförmige Strafverfolgung und die Interessen des Beschuldigten am Schutz seiner Personendaten höher gewichtet als das Interesse der Strafverfolgung. Die Dashcam-Aufnahmen wurden daher als unverwertbar erachtet und der Beschuldigte mangels anderer Beweise freigesprochen (vgl. Urteil des Kantonsgerichts Schwyz STK 2017 1 vom 20. Juni 2017, abrufbar unter: http://www.kgsz.ch/rechtsprechung/).
Aber Achtung…!
Aufnahmen, die der Fahrer vom eigenen Fehlverhalten macht, sind unproblematisch und ohne weiteres verwertbar. Diese Aufnahmen wurden offensichtlich mit Einverständnis des Betroffenen erstellt und dürfen im Strafverfahren gegen die aufnehmende Person verwendet werden (beispielsweise Filmen der eigenen Raserfahrt). Es sollte bei der Positionierung der Kamera zudem darauf geachtet werden, dass die Dashcam den Fahrzeuglenker nicht beim sicheren Fahren beeinträchtigt, ansonsten man sich nach dem Strassenverkehrsgesetz strafbar macht. Schliesslich ist die Benutzung des Mobiltelefons durch den Lenker während der Fahrt verboten und kann ein solches Verhalten auch zu strafrechtlichen Sanktionen oder Leistungskürzungen bei der Unfallversicherung führen.
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Update: Entscheid des Bundesgerichts vom 26. September 2019 (6B_1188/2018) – Aufhebung der Verurteilung einer Fahrzeuglenkerin, die auf Basis von Dashcam-Aufzeichnungen schuldig gesprochen wurde
Die betroffene Fahrzeuglenkerin war vom Bezirksgericht Bülach und dem Obergericht des Kantons Zürich auf Basis von Dashcam-Aufzeichnungen eines anderen Verkehrsteilnehmers wegen mehrfacher, teilweise grober Verkehrsregelverletzung schuldig gesprochen worden. Die Betroffene liess dies nicht auf sich sitzen und gelangte schliesslich mit Beschwerde ans Bundesgericht.
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut. Es hob das Urteil des Obergerichts auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Zur Begründung hielt das Bundesgericht fest, dass die Dashcam-Aufnahmen für Dritte nicht ohne Weiteres erkennbar seien (daran würde nach Auffassung des Bundesgerichts auch ein am Fahrzeug angebrachtes Schild nichts ändern, da dieses schwer zu erkennen sei und die Aufmerksamkeit dem Verkehr gewidmet werden müsse) und deshalb eine Verletzung von Art. 4 Abs. 4 DSG vorliege. Eine Verwertung sei daher nur möglich, wenn die Aufnahmen von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht (Bestätigung der Rechtsprechung).
Im konkreten Fall handelte es sich nach Auffassung des Bundesgerichts um einfache, teils grobe Verletzungen der Verkehrsregeln und damit um Übertretungen und Vergehen, die nicht als schwere Straftaten im Sinne von Art. 141 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) zu qualifizieren seien. Die Interessenabwägung fiel deshalb gegen eine Verwertung der Aufnahmen als Beweismittel aus. Die Dashcam-Aufnahme dürfe nach Auffassung des Bundesgerichts damit nicht gegen die Automobilistin verwendet werden. Ob eine beweismässige Verwertung der Aufzeichnungen im Falle einer schweren Straftat zulässig wäre, hatte das Bundesgericht nicht zu entscheiden.
Das Bundesgericht folgt damit inhaltlich der Begründung des Kantonsgerichts Schwyz vom 20. Juni 2017 und schiebt der zunehmenden Praxis, dass Verkehrsteilnehmer mit Dashcam-Aufnahmen zu Hilfspolizisten werden, einen spürbaren Riegel vor (Link zur Medienmitteilung des Bundesgerichts).
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Update: Entscheid des Bundesgerichts vom 13. November 2020 (6B_1282/2019, französisch) – Das Bundesgericht hebt die Verurteilung eines Autofahrers auf, der gestützt auf ein GoPro-Video schuldig gesprochen worden war.
Der Autolenker wurde vom Kantonsgericht Waadt der einfachen und qualifizierten Verkehrsregelverletzung schuldig gesprochen. Anlass war eine GoPro-Aufnahme eines Mopedfahrers, der den Autolenker dabei gefilmt hatte, wie er hupte, den Mopedfahrer überholte und diesem den Weg abschnitt.
Das Bundesgericht kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass GoPro-Aufnahmen gleich wie Dashcam-Aufzeichnungen zu behandeln sind. Es hob den Schuldspruch des Kantonsgerichts Waadt auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Die gemachten Aufnahmen seien gemäss Begründung des Bundesgerichts heimlich gemacht und damit widerrechtlich erlangt worden. Die GoPro-Aufnahme könne daher nur als Beweis verwendet werden, wenn diese der Aufklärung schwerer Straftaten diene, was im vorliegenden Fall verneint wurde. Als Beweise können gemäss Bundesgericht hingegen die Befragungsprotokolle und der Polizeirapport verwendet werden, die nach dem Vorfall gemacht wurden. Diese hätten auch ohne Video-Aufnahme erlangt werden können.