Autor: Rechtsanwalt Philip Schneider
Das Bundesgericht hat mit Entscheid vom 27. Juni 2017 einen Aktionärbindungsvertrag für unverbindlich erklärt, weil er die Parteien zu stark bindet. Ausschlaggebend war aus der Sicht des Bundesgerichts, dass die Planung der Unternehmensnachfolge durch einen Gründungsaktionär aufgrund zweier Vertragsklauseln unangemessen erschwert werde. Eine Bestimmung sah vor, dass bei einer Lohnerhöhung des Geschäftsführenden Aktionärs auch der nicht im Geschäft tätige Mitaktionär einen Prozentsatz der Erhöhung erhalten solle. Die zweite Bestimmung garantierte den Gründungsaktionären einen Sitz im Verwaltungsrat. Eine solche Bindung sei zwar für die Gründungsaktionäre noch nachvollziehbar, könne aber der nächsten Generation, die in die Rechte der Gründer eintritt, nicht mehr zugemutet werden, stelle eine übermässige Einschränkung der persönlichen Gestaltungsfreiheit dar und verstosse gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB. Der Vertrag sei (durch das Gericht) zeitlich zu begrenzen und falle mit Wirkung ex nunc – 30 Jahre nach Vertragsabschluss – dahin. Die Klage auf Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen wurde vom Bundesgericht für die Zukunft abgewiesen.
Im Einzelnen:
Drei Aktionäre gründeten am 10. Januar 1985 eine AG, alle waren Mitglieder des Verwaltungsrats. Am 23. Januar 1985 schlossen sie einen Aktionärbindungsvertrag (ABV). Dieser ABV enthielt Bestimmungen über ein Vorkaufsrecht der Mitaktionäre, einen Anspruch auf Einsitz im Verwaltungsrat, und Ansprüche auf geldwerte Leistungen gegenüber der Gesellschaft. Eine Bestimmung zu den finanziellen Ansprüchen lautete: « Sobald der Lohn von A {geschäftsführender Aktionär} real um mehr als CHF 10’000 ansteigt, bzw. teuerungsbereinigt CHF 110’000 übersteigt, hat die AG dem Aktionär B 34% des diesen Betrag übersteigenden Anteils auszuzahlen. Für jede Vertragsverletzung wurde eine Konventionalstrafe von CHF 40’000 vereinbart.
1986 schied B aus dem Verwaltungsrat aus. 1998 fanden Gespräche über die Anpassung des ABV statt, blieben aber ergebnislos. 1999 kündigte A den Vertrag. B hielt am Vertrag fest und verlangte an der Generalversammlung vom 1. November 1999 seine Wiederwahl in den Verwaltungsrat. Die Wahl wurde ihm verweigert, ebenso in den folgenden Jahren, letztmals am 12. Juni 2014.
Ende 2001 schieden die Aktionäre A und C aus dem Verwaltungsrat aus, A beendete seine Tätigkeit als Geschäftsführer, blieb aber Aktionär und erhielt eine Abgangsentschädigung von CHF 1.8 Mio. C verstarb im Januar 2004.
Am 7. Mai 2013 klagte der Aktionär B gegen A auf Zahlung von CHF 160’000 (= 4 x CHF 40’000 Konventionalstrafe), und auf Wahl in den VR. Die erste und die zweite Instanz hiessen die Klage gut. Das Bundesgericht jedoch korrigierte den Entscheid, hiess die Klage im Umfang von CHF 120’000 (=3x 40’000) gut, und wies die Klage im Übrigen ab. Die Gerichtskosten wurden je zur Hälfte den Parteien auferlegt.
Interessant sind folgende Überlegungen, die das Bundesgericht angestellt hat:
- Der ABV zwischen den drei Gründungsaktionären ist gesellschaftsrechtlich konzipiert und kann nicht durch blosse einseitige Kündigung nach Art. 546 Abs. 1 OR aufgelöst werden. Vielmehr müsse die Auflösung auf dem Weg der gerichtlichen Gestaltungsklage nach Art. 545 Abs. 1 Ziff. 7 OR geltend gemacht werden.
- Die Berufung auf Art. 27 Abs. 2 ZGB wegen übermässiger Vertragsbindung sei nicht dasselbe wie die ausserordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund. Während die ausserordentliche Kündigung ihren Grund stets in der Veränderung der Vertragsgrundlagen oder der persönlichen Verhältnisse finde, könne die übermässig gebundene Partei unter Berufung auf Art. 27 Abs. 2 ZGB den Erfüllungsanspruch des Kontrahenten verweigern, ohne dass eine Kündigung oder gar eine Klage notwendig sei.
- Bei einem gesellschaftsrechtlichen ABV stehe die Aktivlegitimation entweder allen Gesellschaftern gemeinsam gegen den Verletzer zu, oder aber ein Aktionär allein habe auf Leistung an die Gesellschaft («actio pro socio») zu klagen. Die Klagelegitimation sei aber vorliegend nicht bestritten gewesen, zudem seien im Zeitpunkt der Klage nur noch der A und der B Aktionäre gewesen. Somit sei der ABV zu einem Zweiparteienvertrag geworden, weshalb die Klage des B gegen A rechtmässig gewesen sei.
- Die Prüfung der übermässigen Bindung nach Art. 27 Abs. 2 ZGB beurteile sich nicht nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sondern für den Zeitpunkt, in dem die übermässige Bindung geltend gemacht werde. Vorliegend sei dies fast 30 Jahre nach Vertragsabschluss gewesen. «Sieht ein Dauervertrag keine Kündigungsmöglichkeit vor, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, wann der Zeitpunkt gekommen ist, in dem das Vertragsverhältnis aufgelöst werden kann.»
- 27 Abs. 2 ZGB schütze nicht vor langer Vertragsdauer, sondern vor übermässiger Bindung. Es komme dabei auf die tatsächliche Handhabung des Vertrages an. Hier liege kein Anwendungsfall vor, bei dem der Beklagte durch den Vertrag «in der Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet» sei. Auch eine lange vertragliche Bindung sei zulässig, wenn die Bindung mit der Aktionärseigenschaft gekoppelt sei, und diese zu fairen, nicht erheblich erschwerten Bedingungen aufgegeben werden kann.
- Übermässig könne die Bindung aber sein, wenn sie im Rahmen einer Nachfolgeregelung die gesamte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit einer Vertragspartei betrifft und damit auch zugleich in deren persönliches Betätigungsfeld eingreift.
- Ob das Vorkaufsrecht in Verbindung mit der Verpflichtung, diesen ABV dem Erwerber zu überbinden, eine übermässige Bindung darstelle, könne offenbleiben. Die erbrechtliche oder schenkungsweise Übertragung der Aktien auf die Söhne stelle keinen Vorkaufsfall dar. Allgemein sei es kein Vorkaufsfall, wenn ein Geschäft unter der speziellen Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen abgeschlossen werde (BGE 4A_22/2010)
- Das Bundesgericht ist aber davon ausgegangen, dass der ABV noch im Jahre 2012, als die Nachfolge des Aktionärs A nicht zur Diskussion stand, Bestand hatte. Es schützte deshalb die eingeklagte Konventionalstrafe, weil der Aktionär A verpflichtet gewesen wäre, den B in den Verwaltungsrat zu wählen (vgl. E. 6.4.).
Welche Schlüsse sind aus diesem Urteil für die Beurteilung bestehender oder den Abschluss künftiger Aktionärbindungsverträge ABVs zu ziehen?
- Nach Ablauf einer 30jährigen Vertragsdauer kann ein ABV als übermässig bindend im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB beurteilt werden.
- Dies gilt ganz besonders, wenn in der Zwischenzeit die Aktionäre, die den Vertrag seinerzeit abgeschlossen haben, ausgewechselt sind, oder wenn eine Vertragspartei beabsichtigt, die Aktien auf ihre Nachkommen im Rahmen einer Nachfolgeregelung zu übertragen, und die Nachfolge dadurch erschwert erscheint.
- Die Gefahr der Ungültigkeit ex nunc (für die Zukunft) ist umso grösser, je umfassender der Vertragsinhalt ist, je mehr Verpflichtungen sich die Vertragsparteien auferlegt haben.
- Es ist zu empfehlen, einen ABV auf 30 Jahre zu beschränken. Es kann eine Verpflichtung eingefügt werden, dass die Vertragsparteien vor Ablauf der Vertragsdauer Verhandlungen über eine Verlängerung führen.
- Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid einiges Gewicht darauf gelegt, dass es dem beklagten Aktionär A erschwert sei, die Aktien (und auch die Geschäftsführung?) auf seine beiden Söhne zu übertragen.
- Kritische Anmerkung: Dieses letzte Kriterium erscheint etwas zu weitgehend und kann nicht allein ausschlaggebend sein. Soweit im ABV nicht explizit die Absicht zum Ausdruck kommt, einen Familienbetrieb auch in Zukunft in der Hand der Familie zu behalten, muss die Möglichkeit des Verkaufs an einen der Mitaktionäre oder – falls diese verzichten – an einen Dritten genügen.