Autor: Rechtsanwalt Dr. Urs Peter Cavelti
Der Normalfall ist klar: Wenn es um Kinderunterhalt geht, sind entweder die Eltern oder das Kind und ein Elternteil Partei des Verfahrens. Das ist zwar nicht immer eine einfache Ausgangslage – gerade wenn Kinder ihren Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern durchsetzen müssen – aber die Familie bleibt im Verfahren unter sich.
Anders verhält es sich, wenn das Gemeinwesen den Unterhalt des Kindes übernimmt – sei es durch Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge, sei es durch Leistung von Unterhalt in Form von Sozialhilfe. Diesfalls bestimmt Art. 289 Abs. 2 ZGB, dass der Unterhaltsanspruch auf das Gemeinwesen übergeht – und zwar mit allen Rechten. Dies wird als gesetzliche Subrogation bezeichnet.
Was dies konkret bedeutet hat das Bundesgericht in einem unlängst gefällten Entscheid (BGer 5A_499/2015 vom 20.01.2016) erläutert. Dabei beantragte der Vater zweier nicht ehelich geborener Töchter die Abänderung eines von der Vormundschaftsbehörde genehmigten Unterhaltsvertrages. Während die erste Instanz die gegen die Töchter gerichtete Herabsetzungsklage schützte, hob die zweite Instanz den Entscheid auf, indem es die Passivlegitimation der Kinder verneinte. Dies tat auch das Bundegericht, weil für dieses feststand, dass das Gemeinwesen die Unterhaltsbeiträge der Töchter bevorschusst hatte. Die Klage hätte somit nicht gegen die Kinder, sondern gegen das bevorschussende Gemeinwesen geführt werden müssen.
Gleich entschied das Bundesgericht in einem Verfahren betreffend Schuldneranweisung (BGE 137 III 193). Dabei verlangte das den Kinderunterhalt bevorschussende Gemeinwesen, dass der jeweilige Arbeitgeber des Vaters die Unterhaltsbeiträge für die Kinder direkt an das betreffende Sozialamt zu bezahlen habe. Die beiden unteren Instanzen entschieden, das Gemeinwesen sei nicht befugt, die Schuldneranweisung für künftige Unterhaltsbeiträge zu verlangen. Das Bundesgericht stützte sich auch hier auf Art. 289 Abs. 2 ZGB und hielt fest, dass die gesetzliche Subrogation auch künftige Unterhaltsbeiträge umfasse. Es verwies dabei auf den Gesetzestext, die Materialien und griff auch auf eine alte Formel aus der Lehre zurück, wonach die Subrogation gemäss Art. 289 Abs. 2 ZGB nicht einen einzelnen Unterhaltsbeitrag, sondern das «Stammrecht» auf Unterhalt und somit auch die künftigen Beiträge betreffe.
Mit den genannten Entscheiden hat das Bundesgericht verdeutlicht und präzisiert, was Art. 289 Abs. 2 ZGB prozessual bedeutet: nämlich die Parteistellung des Gemeinwesens grundsätzlich immer dann, wenn dieses den Unterhalt des Kindes übernimmt. Dies betrifft nicht nur Abänderungsverfahren oder Schuldneranweisungen, sondern auch Verfahren auf Begründung des Unterhaltsanspruchs etwa für ein volljähriges Kind, dessen Unterhalt nur bis zur Volljährigkeit geregelt wurde Das gleiche gilt grundsätzlich für das minderjährige Kind, dessen Unterhalt noch nie geregelt wurde – immer vorausgesetzt, der Unterhalt des Kindes werde vom Gemeinwesen übernommen. Erfolgt die Übernahme des Kindesunterhalts nur teilweise durch das Gemeinwesen und bleibt der restliche Unterhalt ungedeckt, so ist davon auszugehen, dass das Gemeinweisen und der den Ausfall tragende Elternteil (in der Regel die Mutter) im Verfahren eine (notwendige) Streitgenossenschaft bilden.
So nachvollziehbar die bundesgerichtliche Klärung auch ist – unproblematisch ist sie nicht. Gerade Verfahren auf Herabsetzung von Kinderunterhalt sind familiär nicht selten emotional aufgeladen. Betrifft es den Unterhalt für ein minderjähriges Kind, so möchte die in der Regel direkt betroffene Mutter als gesetzliche Vertreterin ein Wort mitreden. Ist sie infolge der Bevorschussung des Unterhalts aber nicht mehr Partei, kann sie dies nicht oder nur eingeschränkt tun. Umgekehrt wird das Gemeinwesen als Partei gezwungen, Position zu ergreifen – unter Umständen auch gegen den Willen der Mutter, mit der es im Übrigen zusammenarbeiten muss.