Die schweizerische Verfassung garantiert unter anderem als Grundrecht für jedermann das Eigentum (Art. 26 BV). Würde diese Eigentumsgarantie absolut gelten, könnte z. B. jeder Grundeigentümer auf seinem Grundstück bauen was er wollte, ohne Rücksicht auf Nachbarn und Umwelt. Die Grundrechte gelten indessen nicht absolut, sondern können unter gewissen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Eingriffe in die Eigentumsgarantie bedürfen allerdings einer gesetzlichen Grundlage, müssen im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Ihr Kerngehalt ist unantastbar (Art. 36 BV).
Bund, Kantone und Gemeinden haben in Gesetzen und Verordnungen sowie Zonenplänen Bauvorschriften erlassen, welche die Freiheit des Grundeigentümers im Zusammenhang mit Bauprojekten einschränken und grundsätzlich für jedes Bauprojekt das vorgängige Einholen einer behördlichen Baubewilligung verlangen. Im Rahmen dieser gesetzlichen Einschränkungen hat der bauwillige Grundeigentümer Einschränkungen bei seinem Bauprojekt z. B. hinsichtlich Ausmass, Positionierung, Materialwahl und Gestaltung hinzunehmen. Foutiert sich ein Grundeigentümer um diese Vorschriften, muss er im schlimmsten Fall damit rechnen, dass er die bereits realisierte aber nicht bewilligte Baute wieder rückbauen und den ursprünglichen Zustand wieder herstellen muss.
Die Baubewilligung ist in ihrem Kern eine Polizeibewilligung. Der Gesuchsteller hat damit Anspruch auf Erteilung der Bewilligung, sofern das von ihm mit Baubewilligungsgesuch unterbreitete Projekt gesetzeskonform ist. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen Bauten und Anlagen dabei nicht nur die geltende Bau- und Zonenordnung einhalten, sondern – sofern von der Rechtsordnung vorgesehen – auch ästhetischen Anforderungen genügen. Solche in der Rechtsordnung verankerten Ästhetikklauseln haben denn auch eine eigenständige Bedeutung und sind nicht bereits dann eingehalten, wenn lediglich die primären Baunormen (Grenzabstände, Maximalhöhen, etc.) beachtet worden sind.
Was gilt, wenn den Baubewilligungsbehörden das Bauprojekt zuwenig „gut“ gestaltet ist?
Art. 3 Abs. 2 lit. b Raumplanungsgesetz (RPG; SR 700), bestimmt so u. a., dass sich Bauten und Anlagen in die Landschaft einzuordnen haben. Auch verschiedene kantonale Baugesetze haben sog. Ästhetikklauseln aufgenommen. So beinhalten beispielsweise Art. 65 des Baugesetzes des Kantons Appenzell Innerrhoden (BauG; GS AI 700.000) sowie Art. 30 der dazugehörenden Bauverordnung (BauV; GS AI 700.010) solche Ästhetikklauseln. Art. 65 BauG/AI steht unter der Marginale „Schutz des Landschafts- Orts- und Strassenbildes“ und verlangt, gemäss Abs. 1, dass Bauten und Anlagen im Landschafts-, Orts- und Strassenbild und für sich eine „gute Gesamtwirkung“ zu erzielen haben. Dies gilt verstärkt ausserhalb der Bauzone, an Siedlungsrändern, bei Ortseingängen und in Ortskernen. Für die Beurteilung, ob eine solche „gute Gesamtwirkung“ erzielt wird, ist gemäss Art. 65 Abs. 2 BauG/AI u. a. zu achten auf die Übernahme des natürlichen Terrainverlaufs, die Positionierung der Bauten und Anlagen in der Landschaft und bezüglich der topographischen Situation, die Freiräume und Aussenraumgestaltung, die Gestaltung der Gebäudeproportionen und -höhen und der Dachformen, das Wechselspiel von Haupt- und Nebenbauten, die Gestaltung, Materialisierung und Farbgebung der Fassaden und des Dachs und der Bezug zur vorhandenen Siedlungsstruktur. Verboten kann also nicht nur eine Verunstaltung (sog. negative Ästhetikklausel) sein. Vielmehr kann eine „gute“ Gestaltung verlangt werden (sog. positive Ästhetikklausel).
Die Problematik der vorgenannten Ästhetikklauseln liegt in deren unbestimmten Rechtsbegriffen. Deren Anwendung setzt Verwaltungsermessen voraus. Damit werden die behördlichen Entscheidungen darüber, was „gut gestaltet“ ist bzw. sich „gut einfügt“ bzw. eine „gute Gesamtwirkung erzielt, in ein Spannungsfeld gesetzt zum Legalitätsprinzip, zur Rechtssicherheit, zur rechtsgleichen Anwendungspraxis und zum Vertrauensschutz (Katia Favre / Robert Baumann, Sorgfalt als Massstab behördlichen Ermessens, publ. in: ZBl 1/2015, S. 4 f.). Denn die Festlegung von ästhetischen Kriterien ist von vornherein schwierig, zumal diese immer ein Werturteil aufgrund persönlicher Anschauungen beinhaltet, das von subjektiven Vorlieben, Prägungen sowie subjektiven Meinungen abhängig ist. Zudem sind ästhetische Beurteilungen auch immer dem Zeitgeist und einem ständigen gesellschaftlichen Wandel unterworfen.
Die Bewilligungsbehörde verfügt im Rahmen ihrer Prüfungsbefugnis über einen gesetzlich eingeräumten Handlungsspielraum, allerdings unter Beobachtung eines objektivierten Blickwinkels. Lehnt die Bewilligungsbehörde ein Baugesuch auf der Grundlage von Ästhetikklauseln ab, kann die Rekursinstanz in diesen Handlungsspielraum nur bei Ermessensüberschreitung eingreifen. Allerdings wurde die bisherige Gerichtspraxis, wonach die Rekursinstanz in Achtung der Gemeindeautonomie eine noch vertretbare Wertung der Vorinstanz nicht durch eine andere (eigene) Wertung ersetzen durfte bzw. erst dann eingreifen durfte, wenn die Unhaltbarkeit des Entscheides der öffentlichen Baubehörde offensichtlich war, zumindest in den Kantonen Zürich und Graubünden mit zwei neueren Entscheiden aufgegeben; dies mit der Begründung, die Rekursinstanz unterschreite mit der bisherigen Praxis ihren eigenen Ermessenspielraum, was als Verstoss gegen die einschlägigen Verfahrensvorschriften bezüglich Kognitionsbefugnissen zu qualifizieren sei. Diese Praxisänderung hält auch vor der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts stand (so auch Christopher Tillman, Einordnung von Bauprojekten, publ in: Immobilia April 2014, S. 38 f.). Insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber die Rekursbehörde befugt hat, bei der Überprüfung des Entscheides einer Vorinstanz nicht nur eine Willkürprüfung, sondern eine Überprüfung der Angemessenheit der Entscheidung der Vorinstanz vorzunehmen. Denn jede Rechtsmittelinstanz ist grundsätzlich nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, ihre gesetzlich festgelegte Überprüfungsbefugnis voll auszuschöpfen (Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts VB.2013.00468 vom 17.12.2013 E. 4.1.2 und 4.2.1; publ. in: ZBL 8/2014, S. 448 ff. mit Kommentar von Arnold Marti, S. 455 ff. mit Ausführungen zur Bedeutung dieser Praxisänderung für die Rechtsprechung von Rekursinstanzen in anderen Kantonen).
Inhaltlich hielt das Bundesgericht im nachzitierten Entscheid in Erwägung 3.3 fest, die Anwendung einer Ästhetikklausel dürfe nicht dazu führen, dass generell eine Zonenordnung ausser Kraft gesetzt werde. Auch dürfe die Ästhetikklausel nicht die Funktion einer Planungszone übernehmen und dazu verwendet werden, die bestehenden Bauvorschriften ausser Kraft zu setzen und eine künftige Nutzungsordnung zu sichern (BGE 1C_36/2014 vom 16.12.2014 E. 3.2 und 3.3; Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts VB.2013.00468 vom 17.12.2013 (publ. in: ZBL 8/2014, S. 448 ff.); Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden weitergezogen und entschieden vom Bundesgericht in BGer 1C.434/2012 vom 28.03.2013; publ. in: ZBL 8/2014, S. 441 ff.). Daraus folgt, dass den Betroffenen im Verfahren mehr Raum gegeben und der Gewährung des rechtlichen Gehörs grösseres Gewicht beizumessen ist und die Verwaltung verpflichtet ist, eine umfassende Würdigung aller massgeblichen Gesichtspunkte vorzunehmen und ihre Entscheide sorgfältig zu begründen. Dies kann u. U. weiter bedingen, dass verschiedene Projektvarianten studiert werden müssen. Eine weitere Grenze des Ermessenspielraums liegt sodann darin, dass allenfalls verlangte Änderungen technisch und betrieblich möglich und (wirtschaftlich) zumutbar bzw. für diesen noch tragbar sein müssen (Katia Favre / Robert Baumann, a. a. O., S. 4). Ferner ist auch bei der Angemessenheitsprüfung durch die Rekursinstanz stets im Auge zu behalten, dass es das aus der Eigentumsgarantie fliessende Recht des Bauherrn (und nicht der Bewilligungsbehörde) ist, die Wahl unter allen sachgerechten Lösungen zu treffen. Die Bewilligungsbehörde ist nur befugt die Einhaltung aller Vorschriften zu prüfen (vgl. auch BGer 1C.434/2012 vom 28.03.2013 E. 3.4 letzter Absatz; publ. in: ZBL 8/2014, S. 441 ff.). In der Überschreitung der Kognitionsbefugnis liegt Willkür (BGE 1P.678/2004 vom 21.06.2005, E. 4.3)
Es gilt sodann der Grundsatz, je einheitlicher die Umgebung ist, umso stärker wirkt die Ästhetikklausel, je heterogener die Umgebung ist, umso schwächer wirkt dieselbe. Eine Ästhetikklausel dient nicht dem Zweck, dass nur eine bestimmte Gestaltung und eine bestimmte architektonische Qualität verlangt werden können. Es lässt sich aus einer Ästhetikklausel auch nicht generell ein Gebot ableiten, bei Neubauten die in der Nachbarschaft bestehenden Baumaterialien, Formen und Farben zu übernehmen. Eine solche Forderung müsste vielmehr klar in der Bauordnung festgeschrieben sein (vgl. hierzu ausführlich das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 22. Dezember 2011, publ. im Internet unter www.zg.ch/behoerden/baudirektion/direktionssekretariat/Urteile 2011 des Verwaltungsgerichts, Ziff. 27.14; Arnold Marti, Kommentar zu BGE 1C_434/2012 vom 28.03.2012, publ. in: ZBl 8/2014, S. 445 ff.).
Weiter muss für die Rechtmässigkeit des Eingriffs in die Eigentumsgarantie ein das legitime private Interesse des Betroffenen überwiegendes öffentliches Interesse für den Eingriff in die Eigentumsgarantie gegeben sein. Es ist deshalb gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts eine möglichst umfassende Abwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen (BGE 137 III 266 E. 4). Die Annahme eines überwiegenden öffentlichen Interesses an einem Verbot der geplanten Ausführung eines Bauprojekts ist bei Einhaltung der anderen Bauvorschriften aufgrund der Ästhetikklausel nur dann gerechtfertigt, wenn die ansonsten den Bauvorschriften entsprechende Baute in ihrer Ausführung als „déraisonable“ bzw. unvernünftig, nicht nachvollziehbar und sachlich nicht vertretbar erscheint. Das Bundesgericht hält im vorzitierten Entscheid ferner fest, die Frage der hinreichenden Integration einer Konstruktion oder einer Installation in ihre Umgebung könne nicht mittels des subjektiven Empfindens der beurteilenden Behörde gelöst werden. Vielmehr müssten hierfür objektive und systematische Kriterien gefunden werden (BGE 1C_36/2014 vom 16.12.2014 E. 3.2). Aufgrund des zu beachtenden Verhältnismässigkeitsprinzips hat sich die Bewilligungsbehörde bei der Anwendung von Ästhetikklauseln also Zurückhaltung aufzuerlegen, sie darf auf der Grundlage solcher Klauseln ein Baugesuch nur ablehnen, wenn die Lösung der Bauherrschaft nicht vertretbar ist, denn nicht die Baubewilligungsbehörde gestaltet die Baute oder Anlage, sondern der Bauherr. Insbesondere ist eine Verweigerung der Baubewilligung nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zulässig, wenn ohne klar überwiegende öffentliche Interessen eine Unvereinbarkeit mit dem Eingliederungsgebot festgestellt wird, nur weil die Baute oder Anlage die bau- und planungsrechtlichen Masse ausschöpft (BGer 1C_645/2012 vom 29.07.2013 E. 2.4 dritter Absatz; m. w. H. auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung).
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Autorin: lic. iur. Bigna Heim, Rechtsanwältin